"Im
Hinterkopf hat man die Querelen noch"
Interview mit Sven Fischer im
Dezember 2003, kurz vor Beginn der Saison 2003/2004
Sein
Markenzeichen sind die fehlenden Handschuhe. Egal, ob es minus 18 Grad sind,
Sven Fischer läuft immer ohne. Und das sehr erfolgreich. Zwei Olympiasiege,
sechs Weltmeistertitel und 23 Weltcup-Siege hat der Thüringer in seiner langen
Laufbahn bereits gefeiert. Auch vor dem Saison-Auftakt im finnischen Kontiolahti
ist der 32-Jährige optimistisch: "Wenn ich meine Trainingsleistungen bestätige,
reicht es für vordere Plätze." Im Sport1-Interview erzählt Fischer zudem
von prägenden Erlebnissen, den Missverständnissen im letzten Winter und dem
Ausflug der Biathleten in die Tonstudios.
Sport1: In den letzten Jahren haben Sie es zu Saisonbeginn immer etwas
langsamer angehen lassen. Wird Sven Fischer auch in Kontiolathi hinterher
laufen?
Sven Fischer: Das hoffe ich nicht. Ich fühl' mich besser als im letzten
Jahr zur gleichen Zeit - wenn ich meinem Körpergefühl und den
Test-Wettkämpfen glauben darf.
Sport1: Können Sie das auch ein bisschen konkretisieren, was sind Ihre
Ziele zum Weltcup-Auftkakt?
Fischer: Ich möchte meine Trainingsleistungen bestätigen. Wenn ich das
schaffe, reicht das für vordere Plätze aus.
Sport1: Vordere Plätze ist immer noch recht weit gefasst. Können wir
uns auf einen angestrebten Podestplatz einigen?
Fischer: So weit will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Ich weiß
nicht, wo die anderen stehen. Und damit auch nicht, wo ich stehe. Deswegen
gibt's von mir keine Prognose.
Sport1: In der vergangenen Saison rumorte es gewaltig im Männer-Team.
Als die Erfolge zu Saison-Beginn ausblieben, hieß es, die Athleten seien zu
alt. Auch in diesem Jahr ist der Jüngste im Weltcup-Team Alex Wolf mit 24
Jahren. Bis auf Michael Greis (27) und Jörn Wollschläger (25) sind es die
Arrivierten jenseits der 30, die für den Weltcup nominiert sind. Gibt es keinen
Nachwuchs in Deutschland?
Fischer: Doch, den gibt es schon. Allerdings ist die Breite nicht mehr in
dem Maße vorhanden wie früher.
Sport1: Woran liegt's?
Fischer: Da sollte man sich mal übergeordnet auf politischer Ebene
Gedanken machen. Wenn man sich den Stellenwert des Schulsports anschaut, wundert
mich der fehlende Nachwuchs nicht. Die Basis muss gestärkt werden, wenn man
weiter Spitzenleistungen sehen will.
Sport1: Im alpinen Skisport hat man vor der Saison das Kautions-Modell
eingeführt. Ältere Läufer dürfen im Weltcup für 10.000 Euro Kaution
starten. Wenn sie sich im Weltcup am Ende unter den Top 15 platzieren, bekommen
sie die Kaution zurück. Ist das auch ein Modell für den Biathlon-Sport?
Fischer: Bei uns herrscht kein Holiday-Denken, das man so raus bekommen
wollte. Nach welchen Kriterien soll den ausgewählt werden, wer im Weltcup
startet? Doch nach der Leistung und nicht nach dem Alter.
Sport1: Die Stimmung im Team war in der letzten Saison trotz der
erfolgreichen WM alles andere als gut. Ricco Groß erhalte eine
Sonderbehandlung, hieß es. Wie sieht's in diesem Jahr aus?
Fischer: Es gab böses Blut, das stimmt. Wir hatten im letzten Jahr vor
allem Material-Probleme. Aber wir haben unsere Konsequenzen gezogen. Ein
Techniker wurde getauscht.
Sport1: War das das Problem? Es sah eher nach einer Fraktionen-Bildung
aus. Auf der einen Seite Oberhof mit Peter Sendel, Frank Luck und Ihnen, auf der
anderen Seite die Ruhpoldinger um Ricco Groß und Michael Greis.
Fischer: Das war nur Zufall. Im Prinzip wurde die Ski-Problematik
ausgefochten. Die Mannschaft war gespalten. Auf der einen Seite die Athleten,
die Fischer-Ski laufen, auf der anderen Seite das Rossignol-Team. Das war das
Problem.
Sport1: Das gehört jetzt alles der Vergangenheit an?
Fischer: Im Hinterkopf hat man die Querelen natürlich noch. Aber die
Stimmung im Team ist in Ordnung.
Sport1: Von Fritz Fischer, ihrem Co-Bundestrainer und Stützpunkt-Trainer
Ruhpolding, weiß man, dass er auch zu außergewöhnlichen Trainingsmaßnahmen
greift. Zum besseren Gleiten mussten die Biathleten zu Anni Friesinger auf die
Eislaufbahn, zum mentalen Training sollen sie Golf spielen. Machen Sie auch
solche Sachen?
Fischer: Ich stand nicht auf dem Eis, obwohl ich gerne mit Anni ein paar
Runden gedreht hätte. Aber viel wichtiger ist, dass man selber auf seinen
Körper hört und sieht, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen und daran
arbeitet.
Sport1: Was sind denn Ihre Stärken?
Fischer: Ich kann vieles hinnehmen. Ich habe als kleiner Junge vieles
gesehen, was nicht so gut läuft im Leben und vor allem im Leistungssport. Ein
Trainingskamerad meines Vaters landete beispielsweise im Rollstuhl. Das
relativiert alles. Sport wird dann zur schönsten Nebensache der Welt. Aber
nicht mehr. Tiefschläge kann man so viel besser wegstecken. Ich bin um jeden
Wettkampf dankbar, den ich machen kann. Ich muss nicht gewinnen.
Sport1: Finanziell lohnt sich ein Weltcup-Sieg bei den Biathleten nicht
so sehr wie bei den Langläufern oder Alpinen. 7500 Euro bekommen Sie für Platz
eins vom Verband. 15.000 die anderen. So ganz gerecht klingt das nicht...
Fischer: Man muss das so sehen: Zuerst gab es gar nichts, jetzt gibt es
immer mehr. Ich mache mir da keine Illusionen, bin aber auch nicht neidisch.
Für mich wäre das auch die falsche Motivation.
Sport1: Ihr sportliches Ziel in dieser Saison ist die WM in Oberhof,
quasi vor der Haustür. Ihr letztes Einzel-Gold liegt vier Jahre zurück. Klappt
es in diesem Jahr?
Fischer: Da schaue ich noch nicht hin. Obwohl es natürlich ein lohnendes
Ziel ist. Aber ich mache mir keinen Druck.
Sport1: Ein WM-Punkt haben Sie aber bereits abgehakt. "We are on the
top" - so heißt der WM-Song, gesungen von den deutschen Biathleten. Sind
Sie jetzt der nächste Kandidat für Dieter Bohlen und Co.?
Fischer: Nein, das war nur ein Spaß. Was rausgekommen ist, ist lustig.
Aber da hat keiner aus der Mannschaft den Anspruch auf eine Gesangskarriere. Es
ist auch kein verstecktes Talent zum Vorschein gekommen.
Das
Gespräch führte Anja Schramm
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