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Interview mit Gert Hellmann vom 31.12.2004. Herzlichen Dank an Gert
Hellmann, der mir gestattet hat, dieses Interview auf der Homepage zu
veröffentlichen!
Sven Fischer, Vollprofi mit
Herz und Verstand
"Wir
sind Menschen, keine Roboter"
Der Grat vom
Selbstbewußtsein zur Arroganz ist sehr schmal / Ich muß nicht um jeden Euro
laufen
Zeit ist für
Sven Fischer ein kostbares Gut. Deshalb haßt der zweifache
Biathlon-Gesamtweltcup-Gewinner alles, was seine straff organisierten
Tagesabläufe stört. Daß der mit olympischen Gold-, Silber- und
Bronzemedaillen dekorierte siebenfache Weltmeister dennoch eine der so wichtigen
Ruhepausen zwischen zwei Trainingseinheiten für ein Interview mit der stz
opfert, zeugt von der uneingeschränkten Bodenständigkeit des 32-jährigen
Schmalkalders.
stz: Sie haben vor
wenigen Tagen Ihren 26 Weltcupsiegen zwei weitere hinzugefügt. Warum haben Sie
als derzeit bester deutscher Biathlet Ihren Marktwert nicht genutzt, um beim
Team-Challenge in der Schalke-Arena den schnellen Euro zu machen?
Sven
Fischer: Die Schalke-Wettbewerbe passten überhaupt nicht in mein Training. An-
und Abreise nach Gelsenkirchen und alles, was sonst noch dazugehört, sind
zeitaufwendig. Außerdem will ich nach Weihnachten nicht gleich wieder weg von
meiner Familie. Ich brauche die wenigen freien Tage zu Hause. Was das Geld
betrifft, nur so viel: Ich bin nicht verschuldet und finanziell unabhängig. Ich
muß nicht um jeden Euro laufen.
stz: Nach Frank Luck hat
nun auch Ihr langjähriger Sportkamerad Peter Sendel seine Laufbahn beendet. Als
einziger Thüringer sind Sie im so überaus erfolgreichen deutschen
Staffel-Quartett verblieben.
Sven
Fischer: Das ist nicht ganz korrekt. Auch ich muß mir den Staffelplatz
immer wieder neu erkämpfen. Freilich ist es schade, daß Peter nun auch nicht
mehr dabei ist. Wir haben schöne Zeiten miteinander verlebt. Seine Entscheidung
kann ich jedoch nachvollziehen. Alexander Wolf und Daniel Graf sind zwei
Thüringer Skijäger, die den Sprung in die Staffel schaffen können. Sie
müssen ihre Chancen nur nutzen.
stz: Sie haben an keinem
Ort so viele Siege errungen wie in Oslo. Erst unlängst standen Sie dort auf dem
Podest wieder ganz oben, wurden dafür vom norwegischen König empfangen.
Sven
Fischer: Der Rundverlauf am Holmenkollen liegt mir. Zudem brauche ich dort keine
Höhenanpassung, die mir zum Beispiel im hochgelegenen Antholz gelegentlich
Probleme bereitet hat.
stz: Sie sind in Norwegen
sehr populär, nicht zultzt weil Sie die norwegische Sprache fließend
beherrschen. Gibt Ihnen das einen Push, um gerade dort zu gewinnen?
Sven
Fischer: Ja, es ist schon sehr angenehm, wenn ich mit König Harald in dessen
Loge einen Smalltalk halten darf. Man hat nicht das Gefühl, daß es sich um
eine protokollarische Pflicht handelt. Der König wußte viele Details aus der
Biathlonszene. zudem hat er mir und meiner Familie in sehr herzlichem Ton ein
frohes Fest gewünscht.
stz: Wie reden Sie den
König an?
Sven
Fischer: Er redet mich mit Du an, ich ihn einfach mit Sie. Wobei das Sie in
Norwegen einen höheren Stellenwert hat als in Deutschland. Meine Popularität
in Norwegen bringt aber auch eine zusätzliche Belastung mit sich. Dort stehe
ich nach erfolgreichen Wettkämpfen im Fokus der norwegischen und deutschen
Medien. Diese Doppelbelastung führte zuletzt dazu, daß der Bus zum Flughafen
auf mich warten mußte. Wegen der vielen Interviews konnte ich mich nicht
ordnungsgemäß auslaufen, ja nicht einmal umziehen. Zudem war keine Zeit, um
etwas zu essen. Im Flugzeug zum nächsten Weltcup-Ort Östersund gab es auch
nichts zu essen. Durch den zusätzlichen Streß habe ich zweieinhalb Kilo von
meinem Wettkampfgewicht verloren. Die Körner haben mir bei den Rennen in
Östersund gefehlt.
stz: Weihnachten hatten
Sie sicher Gelegenheit, um das Wettkampfgewicht wieder herzustellen?
Sven
Fischer: Und ob, von dem Rehbock, den ich Mai geschossen habe, ist nichts
über geblieben.
stz: Seit geraumer Zeit
trainieren Sie unter Anleitung Ihres ehemaligen Teamkameraden Mark Kirchner.
Besteht da nicht die Gefahr von Kompetenzproblemen?
Sven
Fischer: Überhaupt
nicht. Ich bin zwar nur ein Jahr jünger als der Schmale. Dennoch akzeptiere ich
sein Training voll und ganz. Mark setzt seine Erfahrungen, die er als Athlet
gemacht hat und das beim Studium Erlernte trainingsmethodisch hervorragend um.
Zudem kennen wir beide uns lange genug. Mark muß mich nicht motivieren, auch
bei Regen rauszugehen, um meine Kilometer zu schrubben. Das Bewußtsein habe ich
selbst.
stz: Bestreitet Mark
Kirchner im Training hin und wieder noch kleine Wettkämpfe mit seinen Athleten?
Sven Fischer:
Crossläufe macht er ab und an schon mal mit. Wenn wir aus einer Belastungsphase
kommen, läuft er uns auch schon mal weg.
stz: Welchen Einfluß hat
Bundestrainer Frank Ullrich auf das tägliche Training der Athleten?
Sven
Fischer: In Oberhof gar keinen. Nur bei Lehrgängen des Auswahlteams gibt er die
Vorgaben. Uller hat das Training der Oberhofer Athleten bewußt abgegeben, weil
ihm Neider aus Sachsen und Bayern mehrfach Vorteilnahme für die Thüringer
Athleten vorgeworfen haben. Ich habe Frank Ullrich viel zu verdanken. Unter
seiner Führung war ich of erfolgreich. Das Gleiche trifft aber auch für die
Arbeit von Mark Kirchner zu.
stz: Mit steigender
Popularität des Biathlonsports nimmt auch der Einfluß von Sponsoren und Medien
auf die Athleten zu. Wie gehen Sie mit dem Problem um?
Sven Fischer: Es
gibt gute und schlechte Manager. Ein Großteil des Drucks, dem viele Athleten
ausgesetzt sind, ist jedoch hausgemacht. Ich darf mir einfach nicht alles
aufdrücken lassen. Schon gar nicht zu markigen Sprüchen hinreißen lassen, nur
der PR wegen. Der Grat vom Selbstbewußtsein zur Arroganz ist nämlich sehr
schmal.
stz: Sie liegen derzeit
im Gesamtweltcup auf Platz zwei. Greifen Sie in dieser Saison nach der dritten
großen Kristallkugel?
Sven Fischer: Den
Gesamtsieg im Weltcup kann man nicht planen. Würde ich mir dieses Ziel
vorgeben, hätte das mit Sicherheit eine Blockade meines Leistungsvermögens zur
Folge.
stz: Wie sieht Ihr
Fahrplan für den weiteren Saisonverlauf aus?
Sven Fischer: Nach Weihnachten habe ich die Trainingsbelastung deutlich
erhöht, selbst auf die Gefahr hin, daß mir beim Heimweltcup die Spritzigkeit
etwas fehlen könnte. Ich muß das Gesamtpaket der Wettkämpfe im Auge behalten.
Denn nach Oberhof folgen sofort die Weltcup-Wettbewerbe in Ruhpolding und
Antholz. In den nächsten Rennen wird es ein neues Finden geben. Da während der
Wettkampftage wegen Dopingkontrollen, Presse- und Fernsehterminen sowie
unregelmäßigen Essenseinnahmen völlig andere Abläufe herrschen als an
Trainingstagen, ist der Kräfteverschleiß sehr groß. Wir sind Menschen, keine
Roboter. Natürlich sind die Weltmeisterschaften Anfang März in Hochfilzen der
Saisonhöhepunkt.
stz: Wo feiern Sie
Silvester?
Sven Fischer: Zu
Hause mit meiner Familie. Ich werde bestimmt nicht lange feiern, denn am 1.
Januar steht volles Training auf dem Programm.
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