Interview aus der Thüringer Tageszeitung "Freies Wort" vom 08.01.2002, also kurz vor dem Weltcup in Oberhof.


"Lillehammer so genial wie eine Landung auf dem Mond"

Herzlichen Glückwunsch zu zwei Jubiläen.
Sven Fischer: Zu welchen Jubiläen?

Vor 20 Jahren begann Ihre sportliche Karriere und vor zehn Jahren gaben Sie im Weltcup Ihr Debüt.
Sven Fischer (rechnet erstaunt nach): Stimmt. Schön, daß ich daran erinnert werde. Man findet in der Wettkampfzeit für solche Daten keinen Draht.

Wie lautet das Fazit nach 20 Jahren Sport?
Sven Fischer: Abgesehen von den späteren Erfolgen, die damals so nicht zu erwarten waren, bin ich noch heute meinen Eltern dankbar, die den Besuch der Kinder- und Jugendsportschule in Oberhof unterstützten. Das war für mich eine erstklassige Persönlichkeitsschule.

Welches Ereignis war das prägendste in dieser Zeit?
Sven Fischer: Ohne Frage die erste Olympia-Teilnahme 1994 in Lillehammer. Der Traum eines jeden Sportlers schien für mich noch ein Jahr zuvor völlig irreal und wurde dann Wirklichkeit. Das war so genial wie eine Landung auf dem Mond.

Zurück zur Gegenwart. Stehen die Signale nach dem wegen einer Erkältung verspäteten Weltcup-Einstieg nun wie im vergangenen Jahr beim Heimspiel auf Angriff?
Sven Fischer: Ich fühle mich fit und gesund und hoffe, daß ich mich wie im vergangenen Jahr in Oberhof meiner Top-Form mit Blick auf Olympia weiter nähern kann. Ich bitte aber schon jetzt um Verständnis, wenn diesmal kein Treppchen-Rang rausspringt. Vorrang hat in dieser Saison eindeutig Olympia. Deshalb werde ich auch den Weltcup in Antholz auslassen.

Wie oft erinnern Sie sich noch an Ihre fantastische Vorstellung beim Sieg in der Massenstart-Konkurrenz, als Sie die Führenden Vitek und Rozhkow noch kurz vor dem Ziel einholten und zu den Statisten degradierten?
Sven Fischer: Sehr oft. Was da so rund 400 m vor dem Ziel physisch und psychisch dank der Unterstützung der Massen an der Strecke in mir passiert ist, weiß ich heute noch nicht. In vielen Rennen denke ich noch heute genau an diese Situation, wenn ich einen anderen Läufer in Sichtweite habe. Dann wünsche ich mir, daß mir wieder Flügel wachsen. Und wenn ich hier in Oberhof meine Runden drehe und an der Stelle kurz vor der Brücke vorbeikomme, habe ich den Moment ebenfalls vor Augen. Der Erfolg in Oberhof vor einem Jahr war von unglaublicher Emotionalität geprägt.

Wie strapaziös ist eigentlich ein Heimauftritt?
Sven Fischer: Es ist eine Gradwanderung zwischen extremer Fannähe und Topereignis. Nicht die Strecke zwischen Start und Ziel ist das Schwierige, sonder die zwischen Ziel und Start. Eigentlich müßte man sich nach jedem Rennen von vier Bodyguards in Empfang nehmen und abführen lassen. Doch so steril sind wir Biathleten ja nicht und die vielen Anhänger, die einem das ganze Jahr die Daumen drücken, kann man gerade vor der Haustür nicht einfach stehen lassen. Bei dem ganzen Rummel hier in Oberhof oder in Ruhpolding muß man alles gut kanalisieren.

Einer der Favoriten für die drei Herren-Konkurrenzen am Grenzadler ist zweifellos Ole Einar Björndalen. Würden Sie den Norweger wegen seiner Abstecher zu den Langläufern als Phänomen oder als Phantast bezeichnen?
Sven Fischer: Ein bißchen verrückt muß im Spitzensport jeder sein. Ole Einars Doppelspiel ist für mich phänomenal und andererseits Beweis, daß wir Biathleten auch klasse laufen können. Zumindest im Freistil. Allerdings sind bei der vom Deutschen Skiverband so perfekt geplanten Trainings- und Wettkampfgestaltung derlei Ausflüge so gut wie nicht möglich. In Norwegen oder Schweden herrscht da mehr Freizügigkeit.

Das Gespräch führten Werner Bache und Thomas Sprafke

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